\chapter{Topologie} \label{cha:topologie} \section{Topologische Räume} \label{sec:topologische-raume} \begin{definition-nn}[Potenzmenge] \index{$\Pot X$} \index{Potenzmenge} Wir bezeichnen für eine Menge $X$ mit $\Pot X$ die Potenzmenge $\{ M: M ⊂ X \}$ von $X$. \end{definition-nn} \begin{definition}[Topologie, Topologischer Raum, offene Mengen] \index{Raum!topologischer} \index{Struktur!topologische} \index{offen} \index{Menge!offen} \index{Topologie} \label{defi:top-raum-2.1.1} Sei $X$ eine Menge und $\T ⊂ \Pot X$ eine Menge von Teilmengen von $X$. $\T$ heißt eine \emph{Topologie} auf $X$, falls $\T$ unter endlichen Durchschnitten und beliebigen Vereinigungen abgeschlossen ist. Insbesondere muss $\T$ die leere Menge $\emptyset$ als leere Vereinigung und den ganzen Raum $X$ als leeren Schnitt enthalten. $(X,\T)$ heißt dann \emph{topologischer Raum}. Die Elemente von $\T$ heißen \emph{offene Mengen} \end{definition} \begin{beispiele-nn} \begin{enumerate}[label=(\alph*)] \item \index{Topologie!indiskrete} \index{Topologie!Klumpen-} Für alle Mengen $X$ ist $\T = \{ ∅, X\}$ eine Topologie auf $X$, die sogenannte \emph{indiskrete Topologie}, \emph{gröbste Topologie} oder auch \emph{Klumpentopologie}. \item \index{Topologie!diskrete} Für alle Mengen $X$ ist $\T = \Pot X$ eine Topologie, die sogenannte \emph{diskrete Topologie} oder \emph{feinste Topologie} auf $X$. \item \index{Topologie!natürliche} In Analysis I wird eine Menge $U ⊂ ℝ$ für offen erklärt, wenn es zu jedem $x ∈ U$ ein $\epsilon > 0$ gibt, so dass für alle $ y ∈ ℝ$ mit $|x - y| < \epsilon $ auch $y ∈ U$ gilt. Aus der Analysis ist bekannt, dass die so definierten offenen Mengen den Axiomen genügen. Diese Topologie $\Tnat$ wird \emph{natürliche Topologie} genannt. \item \index{Topologie!cofinite} Sei $X$ eine beliebige Menge. Die \emph{cofinite Topologie} auf $X$ wird definiert als \[ \Tcof = \{ Y ⊂ X: Y = ∅\; \text{oder}\; \complement_X Y\, \text{ist endlich}\} \] \item \index{Raum!Sierpinski-} Der \emph{Sierpinski-Raum} ist die Menge $\{0,1\}$ versehen mit der Topologie $\{ ∅, \{0\}, \{0,1\}\}$. \end{enumerate} \end{beispiele-nn} Wir führen zunächst einige wichte Begriffe ein: \begin{definition} \label{defi:top-grundbegriffe-2.1.2} Sei $M ⊂ X$. \begin{enumerate} \item \index{abgeschlossen} \index{Menge!abgeschlossen} $M$ heißt \emph{abgeschlossen}, wenn $X \setminus M$ offen ist. \item \index{Umgebung} $U ⊂ X$ heißt \emph{Umgebung von $A$}, wenn es eine offene Menge $V$ gibt mit $A ⊂ V ⊂ U$. Wir setzen \[ \U_A \coloneq \U_A (\T) \coloneq \{ U ⊂ X : U\; \text{Umgebung von $A$}\}. \] \index{Umgebungssystem} \index{Umgebungsfilter} $\U_A$ heißt \emph{Umgebungssystem} oder \emph{Umgebungsfilter} von $A ⊂ X$. Für $x ∈ X$ setzen wir $\U_x \coloneq \U_{\{x\}}$. $x$ heißt dann \emph{innerer Punkt} von $U$ für alle $U ∈ \U_x$. \item \index{Häufungspunkt} $x ∈ X$ heißt \emph{Häufungspunkt} von $M$, falls jede Umgebung von $x_0$ ein $y ∈ M$ enthält mit $y \ne x$. \item \index{Inneres} Das \emph{Innere von M} ist \[ \operatorname{int} M \coloneq M^\circ \coloneq \bigcup \left\{ U ∈ \T: U ⊂ M \right\} \] die größte offene Menge, die in $M$ enthalten ist. \item \index{Abschluss} Der \emph{Abschluss von} M ist \[ \operatorname{cl} M \coloneq \cl M \coloneq \bigcap \left\{ U ⊂ M: U \text{ abgeschlossen} \right\} \] die kleinste abgeschlossene Menge, die $M$ enthält. \item \index{kompakt} $M$ heißt \emph{kompakt}, falls jede offene Überdeckung von $M$ eine endliche Teilüberdeckung besitzt. \item \index{dicht} $M$ heißt \emph{dicht}, falls $\cl M = X$. \item \index{dicht!nirgends} $M$ heißt \emph{nirgends dicht}, falls $(\cl M)^\circ = \emptyset$. \end{enumerate} \end{definition} \begin{bemerkung} \begin{enumerate} \item $M^\circ ⊂ M ⊂ \cl M$. \item $M^\circ$ ist die Menge der inneren Punkte von $M$. \item $M$ ist genau dann abgeschlossen, wenn $M = \cl M$. \end{enumerate} \end{bemerkung} \begin{definition}[Hausdorff-Raum] \index{Raum!Hausdorff-} \label{defi:hausdorff-raum-2.1.4} Sei $(X,\T)$ eine topologischer Raum. Für alle $x,y \in X$ mit $x \neq y$ existieren $U \in \U_x, V \in \U_x$ mit $U \cap V = \emptyset$. Dann heißt $(X,\T)$ \index{Hausdorff-Raum}Hausdorff-Raum bzw. genügt dem $T_2$-Axiom. \end{definition} \begin{beispiele-nn} \begin{enumerate} \item Ein Pseudometrischer Raum $(X,d)$ ist Hausdorff"=Raum genau dann, wenn $d$ eine Metrik ist. \item \index{Raum!Sierpinski-} Der Sierpinski"=Raum $(\{0,1\}),\{\emptyset, \{0\}, \{0,1\}\})$ ist kein Hausdorff"=Raum. \item Sei $X = \prod_{i ∈ I} X_i$ ausgestattet mit dem Produkt $\T$ der Topologien $(T_i)_{i ∈ I}$. $(X,\T)$ ist hausdorffsch genau dann, wenn alle $(X_i, \T_i)$ hausdorffsch sind. \item Ist $(X,\T)$ ein Hausdorff Raum und $Y ⊂ X$, dann ist auch $(Y,\T|Y)$ hausdorffsch. \end{enumerate} \end{beispiele-nn} \begin{definition}[\index{Konvergenz}Konvergenz] \index{Folge!konvergent} \label{defi:konvergenz-2.1.5} Eine Folge $\{x_{n}\}_{n \in \N} \subset X$ heißt konvergent gegen $x_{0} \in X$, falls zu jeder Umgebung $U \in \U_{x_{0}}$ ein $n_{0} \in \N$ existiert, sodass $x_{n} \in U$ für alle $n \geq n_{0}$. \end{definition} \begin{bemerkung-nn} Man überlegt sich leicht, dass der Grenzwert $x_{0}$ in der Regel nicht eindeutig ist. In der Klumpentopologie $\T=\{X,\emptyset\}$ konvergiert jede Folge gegen jeden Punkt. Ist $(X,\T)$ jedoch ein Hausdorff"=Raum, so ist jeder Grenzwert eindeutig. \end{bemerkung-nn} \begin{beweis} Seien $x_{0} \neq x'_{0}$ Grenzwerte von $(x_{n})_{n \in \N} \subset X$. Dann existieren disjunkte Umgebungen $U,U' ∈ \U_{x_0}$. Weiterhin gibt es ein $n_{0} \in \N$, so dass $x_{n} \in U$ für alle $n \geq n_{0}$ und $n_0' \in \N$, so dass $x_{n} \in U'$ für alle $n \geq n_0'$. Also gilt $x_{\max\{n_0,n'_0\}} \in U \cap U'$ Das ist ein Widerspruch zur Disjunktheit der Umgebungen. \end{beweis} \begin{definition}[Häufungspunkt] \index{Häufungspunkt} \label{defi:haeufungspunkt-2.1.6} $x_{0} \in X$ heißt Häufungspunkt von $\{x_{n}\}_{n \in \N} \subset X$, falls zu jeder Umgebung $U \in \U_{x_{0}}$ und für alle $k \in \N$ ein $n \geq k \in \N$ existiert, so dass $x_{n} \in U$. \end{definition} \begin{beispiel-nn} Wir betrachten $\R$ mit der natürlichen Topologie. Die Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ mit $x_n=(-1)^n$ hat zwei Häufungspunkte $1$ und $-1$. Die Menge aller Folgenglieder $M=\{x_{n}:n \in \N\}=\{-1,1\}$ hat als Menge jedoch keine Häufungspunkte. \end{beispiel-nn} \begin{bemerkung-nn} Die Anzahl der Häufungsunkte, die eine Folge haben kann, ist unbeschränkt. Ist $X$ eine beliebige Menge, die mit der Klumpentopologie ausgestattet ist, so ist jeder Punkt in $X$ Häufungspunkt (und Grenzwert) jeder Folge. \end{bemerkung-nn} \begin{definition}[Stetigkeit] \index{stetig} \index{Abbildung!stetige} \label{defi:stetigkeit-2.1.7} Seien $(X, \T_X)$ und $(Y, \T_Y)$ topologische Räume, $f: X → Y$. \begin{enumerate} \item Sei $x_0 ∈ X$. $f$ heißt \emph{stetig in $x_0$}, falls für jede Umgebung $V$ von $f(x_0)$ das Urbild $f^{-1}(V)$ eine Umgebung von $x_0$ ist. \item $f$ heißt \emph{stetig}, falls für alle $V \in \T_{Y}$ gilt, dass $f^{-1}(V) \in \T_{X}$. \end{enumerate} \end{definition} \begin{lemma-nn} Eine Abbildung $f: X → Y$ zwischen topologischen Räumen $X$, $Y$ ist genau dann stetig, wenn $f$ in jedem Punkt stetig ist. \end{lemma-nn} \begin{noproof} ~ \end{noproof} \begin{definition}[Homöomorphismus] \index{Homöomorphismus} \index{isomorph!topologisch} \label{defi:homoeomorphismus-2.1.8} Ist $f : (X,\T_{X}) \rightarrow (Y,\T_{Y})$ bijektiv, stetig, und $f^{-1} : (Y,\T_{Y}) \rightarrow (X,\T_{X})$ auch stetig, dann heißt $f$ (und $f^{-1}$) \emph{Homöomorphismus}. $X$ und $Y$ heißen \emph{homöomorph} oder \emph{topologisch isomorph}, falls so ein Homöomorphismus existiert. \end{definition} \begin{definition}[Basis von Topologien und Umgebungen] \index{Basis!der Topologie} \index{Basis!Umgebungs-} \label{defi:basis-top-umgebung-2.1.9} \begin{enumerate} \item Eine Familie $B \subset \T$ heißt Basis der Topologie in $(X,\T)$, falls $T= \{\bigcup M: M \subset B\}$. \item Eine Familie $B \subset \U_{x}$ von $x \in X$ heißt Umgebungsbasis des Punktes $x$, falls für alle $U \in \T, x \in U$ existiert ein $V \in B$ mit $x \in V \in U$. \end{enumerate} \end{definition} \begin{beispiel-nn} Für die natürliche Topologie auf $\R^n$ ist eine Basis der Topologie gegeben durch ${B_{\eps}(x): x \in X, \eps > 0}$ mit den offenen Kugeln $B_{\eps}(x)={y \in R^n : \snorm{x-y}<\eps}$. Sei $x \in \R^n$ fest. Dann ist ${B_{1/n}(x):n \in \N}$ eine abzählbare Umgebungsbasis von x \end{beispiel-nn} \begin{definition}[Relativtopologie oder Spurtopologie] \index{Topologie!Relativ-} \index{Topologie!Spur-} \label{defi:relativtop-2.1.10} Eine Teilmenge $M \subset \T$ eines topologischen Raumes $(X,\T)$ lässt sich in natürlicher Weise zu einem topologischen Raum machen, nämlich mit $\T' \coloneq \{M \cap V : V \in \T\}$. \end{definition} \begin{bemerkung-nn} Es gilt $M = M \cap X \in \T'$, denn es ist $X \in \T$, das heißt $M$ ist offen in der Spurtopologie (denn $M$ muss ja in jeder Topologie auf $M$ offen sein) Aber $M$ muss hingegen nicht notwendigerweise offen in $X$ sein. \end{bemerkung-nn} \begin{definition} \index{Topologie!feiner} \index{Topologie!gröber} \label{defi:top-feiner-groeber-2.1.11} Seien zwei Topologien $\T_{1},\T_{2}$ auf X gegeben. Wir sagen $\T_{1}$ ist feiner als $\T_{2}$, falls $\T_{1} \supset \T_{2}$. Wir sagen $\T_{1}$ ist gröber als $\T_{2}$, falls $\T_{1} \subset \T_{2}$. Wir sagen die Topologien sind gleich, falls $\T_{1}=\T_{2}$. \end{definition} \begin{bemerkung-nn} Sei nun $\T_{1}$ eine feinere Topologie als $\T_{2}$ auf $X$. Dann enthält die feinere Topologie $\T_{1}$ mehr offene Mengen, und damit zu jedem Grenzwert $x_{0}$ weniger konvergte Folgen. \end{bemerkung-nn} \begin{lemma-nn} Sei $X$ eine Menge, $\T_1$ und $\T_2$ Topologien auf $X$, für jedes $x ∈ X$ $B^x_i$ eine Umgebungsbasis von $x$ in $\T_i$, $i=1,2$. Dann sind äquivalent: \begin{enumerate} \item $\T_{1}$ ist feiner als $\T_{2}$ \item Für alle $x ∈ X$ und jedes $U ∈ \U_x^{\T_1}$ gibt es ein $V ∈ \U_x^{\T_2}$ mit $V ⊂ U$. \item Für alle $x \in X$ gibt es für jedes $U \in B_{1}$ ein $V \in B_{2}$ mit $V \subset U$. \end{enumerate} \end{lemma-nn} \begin{noproof} ~ \end{noproof} \begin{beispiel-nn} Folgende Topolgien $\T_1$ und $\T_2$ auf $\R^n$ sind gleich: $\T_{1}$ sei die Topologie, die durch die Kugeln $B_{\eps}(x)=\{y \in R^n : \norm{x-y}<\eps\}$ erzeugt wird. $\T_{2}$ sei die Topologie, die durch die Quader $B_{\eps}(x)=\{y \in R^n : \max_{1 \leq i \leq n} |y_{i}-x_{i}|<\eps\}$ erzeugt wird. Tatsächlich sind alle Topologien auf $ℝ^n$, die durch eine Norm induziert werden identisch, denn alle Normen auf dem $ℝ^n$ sind uniform äquivalent. \end{beispiel-nn} \begin{definition}[Produkttopologie] \label{defi:produkttopologie-1.12} \index{Topologie!Produkt-} Seien $(X,\T_{X}),(Y,\T_{Y})$ topologische Räume. Dann ist die Familie von Mengen \[ \{U_{X} \times U_{Y} : U_{X} \in \T_{X}, U_{Y} \in \T_{Y} \} \subset \Pot{X \times Y} \] eine Basis der Topologie $\T_{X \times Y}$ im kartesischen Produkt $X \times Y$. \end{definition} \begin{bemerkung-nn} In dieser Definition würde es auch genügen, wenn $U_{X},U_{Y}$ über Basen von $\T_{X},\T_{Y}$ genommen werden. \end{bemerkung-nn} \begin{bemerkung-nn} Allgemeiner kann man auch das Produkt beliebig vieler topologischen Räume auf natürliche Art und Weise mit einer Topologie ausstatten: \end{bemerkung-nn} \begin{definition-nn}[Produkttopologie] Sei $(X_i, \T_i)_{i ∈I}$ eine nichtleere Familie topologischer Räume. Das kartesische Produkt $\prod_{i ∈ I} X_i$ ist die Menge \[ X = \prod_{i ∈ I} X_i = \{ f: I → \bigcup_{i ∈ I} X_i: ∀i ∈ I : f(i) ∈ X_i\}. \] Man schreibt die Elemente des kartesischen Produktes als Familien $(x_i)_{i ∈ I}$ mit $x_i ∈ X_i$ für alle $i ∈ I$. Die \emph{kanonischen Projektionen} $\operatorname{pr}_i: X → X_i$ sind dann gerade die Abbildungen $\operatorname{pr}_i((x_j)_{j∈ I}) = x_i$. Die zu $(\T_i)_{i ∈ I}$ gehörende \emph{Produkttopologie} ist dann die gröbste Topologie auf $X$, die die Abbildungen $\operatorname{pr}_i : X → X_i$ stetig macht. Eine Basis der Produkttopologie ist gegeben durch die Zylindermengen \[ \mathcal B = \left\{ \prod_{i ∈ I} U_i: U_i ∈ \T_i \text{ und fast alle $U_i = X_i$ } \right\}. \] Das kartesische Produkt von endlich viele topologischen Räumen, etwa $X, Y, Z$ schreibt man als $X × Y × Z$. Es gilt $X × (Y × Z) \simeq X × Y × Z \simeq (X × Y) × Z$. \end{definition-nn} \section{Metrische Räume} \index{Raum!metrischer} \label{sec:metrische-raume} Metrische Räume sind Räume, die über einen Abstandsbegriff verfügern, der die intuitiv naheliegenden Eigenschaften eines Abstands verfügen. Wir werden sehen, dass metrische Räume auch topologische Räume sind, die viele schöne topologische Eigenschaften besitzen. \begin{definition}[Pseudometrik, Metrik] \index{Metrik} \index{Pseudometrik} \label{defi:metrik-2.2.1} Sei $X$ eine Menge. $d: X × X → \R$ heißt \emph{Pseudometrik}, wenn $d$ den folgenden Axiomen genügt: \begin{wenumerate}[series=metrik,label=(M\arabic*)] \item Für alle $x, y ∈ X$ gilt $d(x,y) \ge 0$ und $d(x,x) = 0$. \item \emph{Symmetrie:} Für alle $ x, y ∈ X$ gilt $d(x,y) = d(y,x)$. \item \index{Dreiecksungleichung} \emph{Dreiecksungleichung:} Für alle $x, y, z ∈ X$ gilt $d(x,y) \le d(x,y) + d(z,y)$. \end{wenumerate} $d$ heißt \emph{Metrik}, falls es zusätzlich \begin{wenumerate}[resume=metrik,label=(M\arabic*)] \item $d(x,y) = 0 \implies x = y$ \end{wenumerate} \index{Kugel!offene} erfüllt. $(X,d)$ heißt dann (pseudo-)metrischer Raum. Zu $x ∈ X$ und $r > 0$ definieren wir die \emph{offene Kugel um $x$ mit Radius $r$} als \[ B_r(x) \coloneq B^d_r(x) \coloneq \{ y ∈ X: d(x,y) < r\}. \] Die Menge \[ \cl{B_r}(x) \coloneq \{y ∈ X: d(x,y) \le r\} \] \index{Kugel!abgeschlossene} heißt \emph{abgeschlossene Kugel}. \end{definition} \begin{satz} \label{satz:metrik-induziert-top-2.2.2} \index{Topologie!induzierte} Sei $(X,d)$ pseudometrischer Raum. Dann wird durch \[ U ∈ \T_d :\Longleftrightarrow ∀ x ∈ U ∃ ε > 0: B_ε(x) ⊂ U \] eine Topologie $\T_d$ definiert, die \emph{von $d$ induzierte Topologie} auf $X$. Die Kugeln $B_r(x)$ für $x ∈ X$ und $r > 0$ sind offen bezüglich dieser Topologie. Ein topologischer Raum $(X,\T)$ heißt \emph{(pseudometrisierbar}, wenn es eine (Pseudo-)Metrik $d$ mit $\T = \T_d$ gibt. \end{satz} \begin{proof} Sei zunächst $\mathfrak M ⊂ \T_d$ und $x ∈ \bigcup \mathfrak M$. Dann gibt es $x ∈ M ∈ \mathfrak M$, da $M$ offen ist, enthält $M$ einen Ball $B_ε(x)$. Somit auch $B_ε(x) ⊂ M ⊂ \bigcup \mathfrak M$. Da dies für alle $x ∈ \bigcup \mathfrak M$ gilt, ist $\bigcup \mathfrak M$ offen. Sei nun $\mathfrak M ⊂ \T_d$ endlich und $x ∈ \bigcap \mathfrak M$. Dann gibt es zu jedem $M_i ∈ \mathfrak M$ ein $ε_i > 0$ mit $B_{ε_i}(x) ⊂ M_i$. Somit ist für $ε \coloneq \min\limits_{i} ε_i $ auch $B_ε(x) ⊂ \bigcup \mathfrak M$. Also ist $\T_d$ eine Topologie. Jetzt zu $B_r(x) ∈ \T_d$. Sei dazu $y ∈ B_r(x)$, also $δ \coloneq r - d(x,y) > 0$ Sei $z ∈ B_δ(y)$, also $d(z,y) < δ$. Mit der Dreiecksungleichung ist dann $d(x,z) < d(x,y) + d(y,z) = d(x,y) + r - d(x,y) = r$. Also $y ∈ B_δ(y) ⊂ B_r(x)$. \end{proof} \begin{bemerkung-nn} Die abgeschlossene Kugel $\cl B_r (x)$ ist im Allgemeinen nicht der Abschluss der offenen Kugel $B_r(x)$, aber es gilt immer \[ \cl{B_r(x)} ⊂ \cl{B_r}(x). \] \end{bemerkung-nn} \begin{satz} \label{satz:metr-raum-ist-t2-2.2.3} Sei $(X,d)$ ein metrischer Raum. Dann genügt $(X,\T_d)$ dem $T_2$-Axiom. \end{satz} \begin{proof} Seien $x \ne y ∈ X$. Dann ist $δ \coloneq d(x,y) > 0$. Dann sind $B_{δ/2}(x)$ und $B_{δ/2}(y)$ disjunkte Umgebungen von $x$ bzw $y$: Sei $z ∈ B_{δ/2}(x)$. Dann ist \[ d(z,y) \ge d(y,x) - d(x,z) > δ - δ/2 = δ/2. \] \end{proof} \begin{lemma-nn}[Eigenschaften metrischer Räume] \label{lemma:eigenschaften-metrischer-raeume} Sei $(X,d)$ ein metrischer Raum. \begin{enumerate} \item Jeder Punkt $x ∈ X$ besitzt eine abzählbare Umgebungsbasis \[ \{ B_{1/n} (x), n ∈ ℕ\}. \] \item Es gilt \[ \lim_{n \to \infty } x_n = x \; \Longleftrightarrow \; \lim_{n→\infty } d(x,x_n) = 0. \] \item Es ist $x_0 ∈ M$ genau dann ein innerer Punkt von $M ⊂ X$, wenn ein $\epsilon > 0$ existiert mit $B_\epsilon (x_0) ⊂ M$. \item $M$ ist nirgends dicht in $X$ genau dann, wenn es zu jeder Kugel $B_\epsilon (x_0)$ mit $x_0 ∈ X, \epsilon > 0$ eine Kugel $B_\delta (x_1) ⊂ B_\epsilon (x_0)$ mit $B_\delta(x_1) ∩ M = \emptyset$ gibt. \item Seien $(X,d_X)$ und $(Y,d_Y)$ metrische Räume, $f: X → Y$ eine Abbildung, $x ∈ X$. Dann sind äquivalent: \begin{enumerate} \item $f$ ist steitg in $x$. \item $f$ ist folgenstetig in $x$. \item Für jedes $ε > 0$ existiert ein $δ > 0$, so dass für alle $y ∈ X$ gilt: \[ d(x,y) < δ \implies d(f(x), f(y)) < ε. \] \end{enumerate} \item Seien $(X,d_X)$ und $(Y,d_Y)$ metrische Räume. Dann ist auch $(X×Y,d_{X×Y})$ ein metrischer Raum vermöge der Metrik \[ d_{X×Y}((x_1,y_1),(x_2,y_2)) \coloneq \max\{d_x(x_1,x_2),d_y(y_1,y_2)\} \] oder auch mit \[ d_{X×Y}((x_1,y_1),(x_2,y_2)) \coloneq \sqrt{d_x^2(x_1,x_2)+d_y^2(y_1,y_2)}. \] Tatsächlich induzieren diese beiden Metriken die gleiche Topologie (nämlich die Produkttopologie) \item Homöomorphismen $f: X → Y$ (für metrische Räume $X, Y$), die die Metrik respektieren, das heißt \[ d_X(x_1,x_2) = d_Y(f(x_1),f(x_2)) \quad ∀x_1, x_2 ∈ X \] heißen \emph{Isometrien}. \index{Isometrie} \item Ein metrischer Raum muss im allgemeinen keine lineare Struktur haben. Man betrachte hierzu die Menge $X \coloneq \{1,2,3,4,5,6\}$ mit der diskreten Metrik. Diese kann keine Vektorraumstruktur haben, da $|X| = 6$ keine Primzahlpotenz ist. \end{enumerate} \end{lemma-nn} \begin{noproof} Der Beweis wird aufgrund seiner Trivialität den Lesern zur Übung überlassen, da er wirklich nur Einsetzen der Definitionen ist. \end{noproof} Nun ein paar Charakterisierungen von kompakten Mengen in metrischen Räumen. \begin{satz} \index{kompakt} \index{kompakt!in metrischen Räumen} \label{satz:metr-raum-kompaktheit-aequ-charakt-2.2.4} Im metrischen Raum $(X,d)$ sind äquivalent: \begin{enumerate} \item \index{kompakt!überdeckungs-} $K ⊂ X$ ist kompakt (überdeckungskompakt) \item \index{kompakt!abzählbar} Jede Folge in $K$ besitzt mindestens einen Häufungspunkt in $K$ (abzählbar kompakt) \item \index{kompakt!folgen-} Jede Folge in $K$ besitzt eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert in $K$ (folgenkompakt) \end{enumerate} \end{satz} \begin{bemerkung} Der Satz gilt so im allgemeinen Hausdorff-Raum \emph{nicht}. \index{Abzählbarkeitsaxiom!erstes} Für „$(b) \Rightarrow (a)$“ benötigt man zusätzlich das zweite Abzählbarkeitsaxiom, also die Existenz einer abzählbaren Basis der Topologie. \index{Abzählbarkeitsaxiom!zweites} Für „$(b) \Rightarrow (c)$“ benötigt man das erste Abzählbarkeitsaxiom, also die Existenz von abzählbaren Umgebungsbasen für jeden Punkt. \end{bemerkung} \begin{proof}[\cref{satz:metr-raum-kompaktheit-aequ-charakt-2.2.4}] $(a) ⇒ (b)$: Nehmen wir umgekehrt an, es gäbe eine Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ}$, die keinen Häufungspunkt besitzt. Dann gibt es für jedes $y ∈ X$ ein $r_y > 0$, so dass $N_y := \{k ∈ ℕ: x_k ∈ B_{r_y}(y)\}$ endlich ist. Dann sind die offenen Kugeln $(B_{r_y}(y))_{y ∈ X}$ eine offene Überdeckung von $X$, daher existiert, weil $X$ kompakt ist, $F ⊂ X$ endlich mit $X ⊂ \bigcup_{y ∈ F}B_{r_y}(y)$. Aber das impliziert schon $ℕ = \bigcup_{y ∈ F} N_y$ im Widerspruch zur Unendlichkeit von $ℕ$. Somit kann so eine Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ ohne Häufungspunkt nicht existieren und $X$ ist abzählbar kompakt. $(b) ⇒ (c)$: Sei $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ eine Folge in $X$ und $x$ ein Häufungspunkt von $X$. Wähle nun $n_1 ∈ ℕ$ beliebig und iterativ $n_{k+1} > n_k$ mit $d(x,x_{n_{k+1}}) < 1/k$. Dann ist $(x_{n_k})_{k ∈ }$ eine Teilfolge von $(x_n)_{n ∈ ℕ}$, die gegen $x$ konvergiert. $(c) ⇒ (a)$: %Siehe zum Beispiel \cite[Ch 3, Th 28.2]{munkres2000topology}. Wir zeigen zunächst, dass, wenn $K$ folgenkompakt ist, und $\mathcal A$ eine offene Überdeckung von $K$ ist, ein $δ > 0$ existiert, so dass jede Teilmenge von $K$ mit Durchmesser höchstens $δ$ in einer Menge aus $\mathcal A$ enthalten ist. Angenommen, es würde kein $δ > 0$ mit dieser Eigenschaft geben. Dann gibt es insbesondere für jedes $n ∈ ℕ$ eine Menge mit Durchmesser kleiner $1/n$. die nicht in einer Menge aus $\mathcal A$ enthalten ist. Sei für jede natürliche Zahl $n$ $C_n$ so eine Menge und $x_n ∈ C_n$. Per Annahme besitzt $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ eine konvergente Teilfolge, sagen wir $(x_{n_k})_{k ∈ ℕ}$, die gegen $a ∈ K$ konvergiert. Dann ist $a$ in einem $A ∈ \mathcal A$ enthalten. Da $A$ offen ist, gibt es ein $ε > 0$, so dass $B_ε(a) ⊂ A$. Ist nun $k$ so groß, dass $1/n_k < ε/2$, dann ist $C_{n_k} ⊂ B_{ε/2}(x_{n_k})$. Aber das ist ein Widerspruch zur Annahme. Zweitens zeigen wir, dass, wenn $K$ folgenkompakt ist und $ε > 0$ beliebig, wir eine endliche Überdeckung von $K$ durch $ε$-Bällen finden können. Auch hier nehmen wir an, das würde nicht gehen. Sei $ε > 0$ so, dass $K$ nicht von endlich vielen $ε$-Bällen überdeckt werden kann. Wir konstruieren nun iterativ eine Folge, die keine konvergente Teilfolge besitzen kann: Sei $x_1 ∈ K$ beliebig. Da per Wahl von $ε$ $K$ nicht komplett von $B_ε(x_1)$ überdeckt wird, gibt es ein $x_2 ∈ K \setminus B_ε(x_1)$. Wähle nun iterativ, wenn $x_n$ schon konstruiert ist, $x_{n+1}$ so, dass es nicht in der Vereininung \[ B_ε(x_1) ∪ \cdots ∪ B_ε(x_n) \] liegt. Das geht, da nach Annahme $K$ nicht von endlich vielen $ε$-Bällen überdeckt werden kann. Nach Konstruktion ist nun $d(x_n, x_m) > ε$ für $n \ne m$. Somit kann $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ keine Cauchy"=Teilfolge, also auch keine konvergente Teilfolge enthalten und $K$ ist somit nicht folgenkompakt. Nun folgern wir die Behauptung: Sei $\mathcal A$ eine offene Überdeckung von $K$. Da $K$ folgenkompakt ist, gibt es nun ein $δ > 0$, so dass jede Menge mit Durchmesser kleiner $δ$ in einer Menge in $\mathcal A$ enthalten ist. Sei nun $ε = δ/3$. Da $K$ folgenkompakt ist, gibt es eine endliche Überdeckung von $K$ aus $ε$-Bällen. Da jeder dieser Bälle einen Durchmesser von höchstens $2δ/3$ hat, ist er in einer Menge in $\mathcal A$ enthalten. Das erlaubt uns, eine endliche Teilüberdeckung aus $\mathcal A$ auszuwählen, die $K$ überdeckt. \end{proof} \section{Vollständigkeit in metrischen Räumen und der Satz von Baire} \label{sec:vollst-metr-raum} Bereits in der Analysis haben wir uns mit Cauchy-Folgen in den reellen Zahlen beschäftigt. Dabei hieß eine reelle Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ Cauchy"=Folge, wenn für jedes $ε > 0$ ein $N ∈ ℕ$ exisiert, so dass $|x_n -x_m| < ε$ ist. Wir haben uns damals davon überzeugt, dass diese Eigenschaft tatsächlich äquivalent ist zur Konvergenz der Folge -- Der Körper der reellen Zahlen ist vollständig. Die Eigenschaft der Cauchy"=Folge lässt sich leicht auf allgemeinere Metrische Räume verallgemeinern. \begin{definition}[Cauchy-Folge] \index{Folge!Cauchy-} \label{defi-cauchy-folge-2.3.1} Eine Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ} ⊂ X$ in $(X,d)$ heißt \emph{Cauchy-Folge}, falls zu jedem $\epsilon > 0$ ein $N = N(\epsilon )$ existiert mit $d(x_m,x_n) < \epsilon $ für alle $n,m \ge N$. \end{definition} Die Äquivalenz von Cauchy und Konvergenz bleibt dabei im Allgemeinen nicht erhalten. Es gilt jedoch immer die eine Implikation: \begin{lemma} \label{lemma:konv-folge-ist-cauchy-2.3.2} Jede konvergente Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ} ⊂ X$ ist auch eine Cauchy-Folge. \end{lemma} \begin{proof} Sei etwa $\lim_{n→∞} x_n = x$. Sei $ε > 0$. Da $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ gegen $x$ konvergiert, gibt es $N ∈ ℕ$ mit $d(x_n,x)< ε/2$ für alle $n ≥ N$, also mit der Dreiecksungleichung \[ ∀n,m ≥ N: d(x_n,x_m) ≤ d(x_n,x) + d(x, x_m) < ε/2 + ε/2 = ε. \] \end{proof} \begin{definition}[vollständiger metrischer Raum] \label{defi:vollst-metrisch-raum-2.3.3} \index{Raum!vollständiger metrischer} \index{vollständig} Der metrische Raum $(X,d)$ heißt \emph{vollständig}, falls jede Cauchy-Folge in $(X,d)$ konvergiert. \end{definition} \begin{bemerkung-nn} Nicht jeder metrische Raum braucht vollständig zu sein (man betrachte hierfür z.B. $ℚ$ und die Folge der Partialsummen der Dezimalbruchentwicklung von $\sqrt 2$), jedoch lässt sich jeder metrische Raum zu einem vollständigen Erweitern. \end{bemerkung-nn} \begin{satz} \label{satz:metr-raum-vervollstd-2.3.4} \index{Vervollständigung} Jeder metrische Raum $(X,d)$ lässt sich in einen bis auf Isometrie eindeutig bestimmten kleinsten vollständigen metrischen Raum $(\tilde X, \tilde d)$ einbetten. Dieser Raum $(\tilde X, \tilde d)$ heißt die Vervollständigung von $(X,d)$. \end{satz} \begin{proof} Zwei Cauchyfolgen $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ und $(y_n)_{n ∈ ℕ}$ seien äquivalent, genau dann, wenn \[ d(x_n,y_n) \yrightarrow[n → \infty ]{} 0. \] Hierdurch ist eine Äquivalenzrelation definiiert. Sei $[(x_n)_{n ∈ ℕ}]$ die vom Repräsententaten $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ erzeugte Klasse. Man setzt \[ \tilde X \coloneq \{ [ (x_n)_{n ∈ ℕ}] : (x_n)_{n ∈ ℕ} \text{ ist Cauchy-Folge in }(X,d)\} \] und \[ \tilde d([(x_n)_{n ∈ ℕ}],[(y_n)_{n ∈ ℕ}]) \coloneq \lim_{n → \infty } d(x_n,y_n). \] Dann ist $(d(x_n,y_n))_{n ∈ ℕ}$ eine Cauchy-Folge in $ℝ$, da \[ |d(x_n,x_m) - d(y_m,y_m) | \le \underbrace{d(x_n,x_m)}_{→ 0} + \underbrace{d(y_n,y_m)}_{→ 0}. \] Da $ℝ$ bekanntlich vollständig ist, existiert somit der Grenzwert. Ferner ist $\tilde d$ Repräsentatenunabhängig, also wohldefiniert: Seien $(\tilde x_n)$ und $(\tilde y_n)$ andere Repräsentaten. Dann ist \[ d(x_n,y_n) \le \underbrace{d(x_n,\tilde x_n)}_{→ 0} + d(\tilde x_n,\tilde y_n) + \underbrace{d(\tilde y_n, y_n)}_{→ 0}. \] Die umgekehrte Ungleichung ergibt sich aus Vertauschung der Rollen. Man rechnet leicht nach, dass $(\tilde X, \tilde d)$ ein vollständiger Raum ist. Wir können $(X,d)$ durch die entsprechenden konstanten Folgen isometrisch in $\tilde X$ einbetten. \end{proof} \begin{bemerkung-nn} Wendet man diese Technik auf $ℚ$ mit der natürlichen Metrik an, dann erhält man $(ℝ,d)$ als vollständige Hülle. Man beachte jedoch, dass dies nicht für die Konstruktion von $ℝ$ ausreicht, da hier schon die Existenz von $ℝ$ verwenden wird -- Aber das funktioniert größtenteils analog. \end{bemerkung-nn} \begin{satz}[Schachtelsatz] \label{satz:schachtelsatz-2.3.5} \index{Satz!Schachtel-} Sei $(X,d)$ ein vollständiger metrischer Raum und seien $(x_n)_{n * ℕ} ⊂ X$ und $(r_n)_{n ∈ ℕ} ⊂ (0,\infty ) $ Folgen mit der Eigenschaft \begin{enumerate} \item $\cl B_{r_{n+1}}(x_{n+1}) ⊂ B_{r_n} (x_n)$ \item $\lim\limits_{n \to \infty } r_n = 0$. \end{enumerate} Dann gibt es genau ein $x_0 ∈ X$ mit $x_0 ∈ \bigcap_{n ∈ ℕ} \cl B_{r_n} (x_n)$. \end{satz} \begin{proof} Für $p ∈ ℕ$ beliebig gilt \[ \cl B_{r_{n+p}} (x_{n+p}) ⊂ \cl B_{r_n} (x_n). \] Also \[ d(x_{n+p},x_n) \le r_n \yrightarrow[n → \infty ]{} 0. \] Damit ist $(x_n){n ∈ ℕ}$ eine Cauchyfolge und damit konvergiert gegen ein $x_0 ∈ X$, da $X$ vollständig ist. Außerdem gilt \[ d(x_p,x_n) \le \underbrace{d(x_0, x_{n+p})}_{→ 0 (p → \infty )} + \underbrace{d(x_{n+p},x_n)}_{ \le r_n}. \] Damit folgt für $p → \infty $ \[ d(x_0, x_n) \le r_n \quad ∀ n ∈ ℕ \] also $x_0 ∈ \bigcap_{n ∈ ℕ} \cl B_{r_n}(x_n)$. Für die Eindeutigkeit sei $\tilde x_0$ ebenfalls in $\bigcap_{n ∈ ℕ} \cl B_{r_n}(x_n)$. Dann folgt \[ d(x_0,\tilde x_0) \le \underbrace{d(x_0,x_n)}_{\le r_n} + \underbrace{d(x_n, \tilde x_0)}_{\le r_n} \le 2r_n \yrightarrow[n → \infty ]{} 0. \] Doch damit war bereits $x_0 = \tilde x_0$. \end{proof} \begin{definition}[mager, Menge von erster/zweiter Kategorie] \label{defi:mager-2.3.6} \index{mager} \index{Menge!mager} \index{Kategorie!erste} \index{Kategorie!zweite} Eine Teilmenge $M$ eines metrischen Raumes $(X,d)$ heißt \emph{von erster Kategorie} oder \emph{mager}, falls sie die Vereinigung abzählbar vieler in $X$ nirgends dichter Mengen ist. Andernfalls heißt $M$ \emph{von zweiter Kategorie}. \end{definition} Der folgende Satz wird beim Beweis mehrerer fundamentaler Sätze benötigt, z.B beim Prinzip der gleichmäßigen Beschränktheit oder dem Open-Mapping-Theorem. \begin{satz}[Baire] \label{satz:bct-2.3.7} \index{Satz!von Baire} \index{BCT} Jede nichtleere offene Menge eines vollständigen metrischen Raumes $(X,d)$ ist von zweiter Kategorie (insbesondere $X$ selbst). \end{satz} \begin{proof} Sei $ \emptyset \ne M ⊂ X$ offen. Wir nehmen umgekehrt an, $M$ wäre von erster Kategorie, das heißt \[ M ⊂ \bigcup_{n ∈ ℕ} M_n \] mit $M_n ⊂ X$ nirgends dicht. Wähle $x_0 ∈ M$. Da $M$ offen ist, gibt es ein $r = r_0 > 0$ mit $B_{r_0}(x_0) ⊂ M$. Da $M_1$ nirgends dicht ist, gibt es $r_1 > 0$ und $x_1 ∈ X$ mit \[ B_{r_1}(x_1) ⊂ B_{r_0/2} (x_0) \] und $B_{r_1}(x_1) ∩ M_1 = \emptyset$. Analog finden wir, da $M_2$ nirgends dicht ist, $r_2 > 0$ und $x_2 ∈ X$ mit \[ B_{r_2}(x_2) ⊂ B_{r_1/2} (x_1) \] und $B_{r_2}(x_2) ∩ M_2 = \emptyset$. Durch Fortsetzen dieses Schemas finden wir eine Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ} ⊂ X$ und Radien $(r_n)_{n ∈ ℕ} ⊂ (0,\infty )$ mit $r_n \le r/2^n \yrightarrow[n → \infty ]{} 0$. Damit sind alle Voraussetzungen von~\cref{satz:schachtelsatz-2.3.5} erfüllt. Folglich existiert genau ein \[ \tilde x ∈ \bigcap_{n ∈ ℕ} B_{r_n} (x_n) ⊂ B_r(x_0) ⊂ M. \] Aber $\tilde x \not\in M_n$ für alle $n ∈ ℕ$ Folglich ist auch $\tilde x$ nicht in $\bigcup_{n ∈ ℕ} M_n = M$. Das ist ein Widerspruch. Also ist $M$ von zweiter Kategorie. \end{proof} Der Vollständigkeit halber noch eine alternative (stärkere) Formulierung: \begin{satz}[Baire] \label{satz:bct-2.3.8} Sei $(X,\T)$ ein vollständig metrisierbarer oder lokalkompakter Hausdorff"=Raum \begin{enumerate} \item Sei $(U_n)_{n ∈ ℕ}$ eine Folge offener, dichter Teilmengen von $X$. Dann ist auch $\bigcap_{n ∈ ℕ} U_n ⊂ X$ dicht. \item Sei $(A_n)_{n ∈ ℕ}$ eine Folge nirgends dichter Teilmengen. Dann ist $\bigcup_{n ∈ ℕ} A_n \ne X$. \item Sei $(A_n)_{n ∈ ℕ}$ eine Folge abgeschlossener Teilmengen mit $\bigcup_{n ∈ ℕ} A_n = X$. Dann gilt für mindestens ein $n ∈ ℕ$, dass $A_n^\circ \ne \emptyset$. \end{enumerate} \end{satz} \begin{proof} \begin{enumerate} \item Sei $W ⊂ X$ offen und nichtleer. Zu zeigen: $\bigcap_{n ∈ ℕ} U_n ∩ W \ne \emptyset$. Sei zunächst $X$ vollständig metrisierbar durch die Metrik $d$. Da $U_1 ∩ W$ offen und nichtleer nach Annahme gibt es $x_1 ∈ U ∩ W$ und $0 < r_1 < 1$ mit $B_{r_1}(x_1) ⊂ U_1 ∩ W$. Wir wählen nun induktiv Punkte $x_n ∈ X$ und Zahlen $0 < r_n < 1$ (für $n \ge 2$) mit folgenden Eigenschaften: \begin{enumerate}[label=(\roman*)] \item $0 < r_n < \frac 1 n$ \item $\cl{B_{r_n}(x_n)} ⊂ U_n ∩ B_{r_{n-1}} (x_{n-1})$ \end{enumerate} Dazu beachte man, dass $U_n ∩ B_{r_{n-1}}(x_{n-1})$ nichtleer und offen ist, also existiert $x_n$ und $1/n > \epsilon > 0$ mit $B_\epsilon (x_n) ⊂ U_n ∩ B_{r_{n-1}} (x_{n-1})$ und $r_n = \epsilon/2$ ist wie gewünscht. Für $m \ge n$ impliziert (ii), dass $x_m ∈ B_{r_n}(x_n)$ und aus (i) folgt, dass die Folge $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ damit eine Cauchyfolge ist. Damit konvergiert $(x_n)_{n ∈ ℕ}$ gegen ein $x ∈X$. Sei nun $N ∈ ℕ$ und $m > N$. Dann folgt aus $x_m ∈ B_{r_N}(x_N)$, dass \begin{align*} x &= \lim_{m → \infty } x_m ∈ \cl{B_{r_N}(x_n)} ⊂ U_N ∩ B_{r_{N-1}}(x_{N-1}) \\ & ⊂ U_N ∩ B_{r_1}(x_1) ⊂ U_N ∩ W, \end{align*} also $x ∈ \bigcap_{n ∈ ℕ} U_N ∩ W$. Sei Nun $X$ lokalkompakt. Da $U_1 ∩ W$ offen und nichtleer ist, gibt es $x ∈ U_1 ∩ W$, und es ist $U_1 ∩ W ∈ \U_x$. Wähle $B_1 ∈ \U_x$ kompakt mit $B_1 ⊂ U_1 ∩ W$. Wir konstruieren nun sukzessive kompakte Mengen $B_k$ (zu $k \ge 2$) mit folgenden Eigenschaften: \begin{enumerate}[label=(\roman*)] \item $B_k ⊂ B_{k-1}$ \item $\emptyset \ne B_k^\circ ⊂ B_k ⊂ U_k$. \end{enumerate} Ist $B_{k-1}$ gegeben, so ist wegen $B_{k-1}^\circ \ne \emptyset$ und der Dichtheit von $U_k$ der Schnitt $B_{k-1}^\circ ∩ U_k$ offen und nichtleer. Es gibt also ein $x ∈ B_{k-1}^\circ ∩ U_k$ und damit auch eine kompakte $x$-Umgebung $B_k ⊂ U_k ∩ B_{k-1}$. Die Familie $(B_k)_{k ∈ ℕ}$ nichtleerer Teilmengen der kompakten Menge $B_1$ ist absteigend, besitzt also die endliche Durschnittseigenschaft. Da $X$ hausdorffsch und die $B_k$ kompakt sind, ist zudem jedes $B_k$ abgeschlossen, somit folgt \[ \emptyset \ne \bigcap_{k ∈ ℕ} B_k ⊂ \bigcap _{k ∈ ℕ}U_k \] sowie \[ \bigcap_{k ∈ ℕ} B_k ⊂ B_1 ⊂ W. \] Insgesamt also \[ \emptyset \ne \bigcap_{k ∈ ℕ} B_k ⊂ \bigcap_{k ∈ ℕ} U_k ∩ W. \] \item Für $n ∈ ℕ$ Sei $U_n = \complement_X \cl{A_n}$. Dann ist $U_n$ offen und dicht. Mit Teil (a) folgt, dass auch $\bigcap_{n ∈ ℕ U_n }$ dicht, und somit insbesondere nicht leer, ist. Also ist $\bigcup_{n ∈ ℕ} A_n ⊂ \bigcup_{n ∈ ℕ} \cl{A_n} = (\bigcap_{n ∈ ℕ} U_n)^\complement \ne X$. \item Das ist eine direkte Konsequenz aus (b). \end{enumerate} \end{proof} %%% Local Variables: %%% mode: latex %%% TeX-master: "funkana" %%% End: